Von der Realität zum Modell

Die ersten Modelleisenbahnen entstanden bereits im 19. Jahrhundert. Es dauerte aber bis in die Zeit des Wirtschaftswunders, bis eine Modelleisenbahn zum typischen Kinderspielzeug (zumindest für Jungs) wurde.

Maßstäbe

Man unterscheidet bei der Modelleisenbahn wie auch bei anderen Modellen verschiedene Maßstäbe. Der heute wohl bedeutenste ist der Maßstab H0, ursprünglich "Halb-0" genannt als halbe Baugröße des früher als "Spur 0" bezeichneten Maßstabs von 1:48.

Der Maßstab wurde als 1:87 festgelegt, die Spurweite beträgt 16.5mm. Anders als die kleineren Spuren N und Z werden bei H0 noch relativ enge, wenig maßstäbliche Kurven mit einem Radius von 36cm verwendet, die es aber für diese Eisenbahn zumindest erlauben, die Bahn auf einem Tisch aufzubauen (soviel zu der Bezeichnung "Table-Top" für den Maßstab 1:120).

Zwar gibt es auch andere Gleissysteme als Märklin M-Gleis, aber stets gibt es den 36cm-Radius als Standardkreis und weiter außen mindestens einen Parallelkreis im Abstand von ca. 70mm.

Bei Märklin M endet aber dort die Liste der Radien, weder für größere Parallelkreise noch für schlanke Weichen gibt es größere Radien.

Neuere Gleissysteme wie Märklin K oder C-Gleis haben dagegen noch sogenannte "Großkreise" und "schlanke Weichen" im Programm. Deren Radien liegen bei ca. 600mm für die äußeren Großkreise und um 1m für die schlanken Weichen.

Solche Radien machen aber hauptsächlich da Sinn, wo man in einer Anlage zwischen "sichtbaren" und verdeckten Teilen unterscheidet. Verdeckte Teile verwenden die Radien ab 360mm, um die Fahrzeuge mit kurzen Wegen transferieren zu können. Wenn der Zug dann aus dem Tunnel an die Oberfläche kommt wird durch die Radien im Großkreis und die schlanken Weichen eine realistischere Atmosphäre geschaffen, als dies mit den Standardradien möglich ist.

Eine Besonderheit bei Märklin M-Gleisen ist noch, dass dieses Gleissystem als einziges von Märklin den engen Radius für den Weichenbogen zumindest der 5100er-Weichen verwendet. Neben den "klassischen" 30°-Weichen mit einem Gleisabstand von ca. 90mm gibt es auch ein Weichenpaar, bei dem der Bogen in 22.5° und 7.5° aufgeteilt ist. Dreht man den 7.5°-Ergänzungsbogen herum und verwendet ihn zusammen mit einem weiteren Bogen von nur 15° Winkel als Gegenbogen, ergibt sich ein Gleisabstand von nur 54mm - ideal für einen realistischen, aber kurzen Bahnhof.

Die häufig anzutreffende Einheitslänge von 180mm für den Maßstab H0 hängt übrigens direkt mit den 360 mm des Standardkreises zusammen: Teilt man den Kreis in Segmente zu 30°, dann ist ein Bogen plus ein Gegenbogen gerade 360° lang. Man kann diese Gleisfigur für den Weichenabzweig für die einfache Weiche halbieren und hat dann 180 mm als Länge für die Weichengerade. Mathematisch liegt die Gleichung 360mm * sin(30°) = 180 mm dieser Zuordnung zugrunde.

Wegen der einfachen Werte von 1/2 und Wurzel 1/2 für Sinus und Cosinus von 30° wurde dieser Winkel gerne sowohl als Bogenwinkel einer Weiche als auch als Teilung für den Kreis verwendet. Man benötigt dann eigentlich nur noch halbe Längen und kann neben Ovalen auch L-Formen realisieren, ohne dass man exzessiv Ausgleichsstücke geben muss.

Besonderheiten einer Modelleisenbahn

Einige Dinge hatte ich schon mit 14 Jahren begriffen:

Gleisabstände und Radien hängen miteinander zusammen: Wenn man einen Gleisabstand wie das Original halte möchte, dürfen lange Wagons nur wenig in das Bogeninnere überhängen. Ist der Bogenradius klein, dann kann man zwei Züge nur dann entgegenfahren lassen, wenn die Gleise weiter auseinander stehen als im Original. Die "große" Eisenbahn hat auf freier Strecke mindestens 4m, in Bahnhöfen mindestens 4.5m Gleisabstand. Das sind ~ 5cm bei H0.

Das hatte ich bei meiner Eisenbahn dadurch zu kompensieren versucht, dass ich das Gleis 1 beim Bahnhof mit den damals (1970er Jahre) noch recht neuen, nur 22,5° Bogenradius umfassenden Weichen 5137 und einem gleich großen Gegenbogen realisierte. Das ergibt den realitätsnahen, aber nur für Geradeausfahrt geeigneten Gleisabstand von 54mm, der sehr realitätsnah wirkt.

Der viel geringere Bogenradius der Modellbahn läßt sich aber nicht anders gestalten, da man sonst eine H0-Eisenbahn nur im Garten aufbauen könnte, eine H0-Eisenbahn auf einem Tisch wäre mit realistischen Bogenradien eine Illusion. In der Realität sind auf Streckenbahnen im Flachland Kurvenradien von 500m bis 10km typisch, auf H0-Maßstab umgerechnet wären das 5.700 bis ~100.000mm. Selbst Strecken im Gebirge werden nicht mit weniger als 200m Radius angelegt (H0: 2.290 mm), die Hamburger Hafenbahn hatte mit 100m (H0: 1.150mm) Bogenradius einen für viele größere Lokomotiven schon nicht mehr befahrbaren Bereich geschaffen.

Der typische Radius einer H0-Modelleisenbahn ist 360 mm. Dieser Radius würde in der Realität einem Radius von nur 31m entsprechen - dieser Radius ist für eine Straßenbahn die Untergrenze. Schaut man sich die allerersten Modelle an, die mit den früher 00 genannten Radien geliefert wurden, dann stellt man fest, dass es nur sehr kurze (meist zweiachsige) Loks und Wagen waren. Die Prämisse war es einfach, einen Maßstab zu schaffen, der in den 1930er Jahren auf einen typischen Wohnzimmertisch (Größe ca. 90 x 120cm) passte. Das ging nur mit einem nicht zu großen Radius.

Märklin M- und K-Gleise gehen im Radius beim Industriekreis bis auf ca. 290mm herunter. Die Loks die ich habe haben selbst da noch Luft, sie würden vermutlich bis 250mm herunter noch auf den Gleisen bleiben.

Gleislängen bei Bahnhöfen liegen für große Bahnhöfe bei mindestens 500 - 600m; die Bundesbahn hat hier Festlegungen, welche Zugklasse welche Bahnsteiglänge (und daraus abgeleitet welche Gleislänge) benötigt. In H0 umgerechnet sind 500m oben erwähnte 5.7m. Der Bahnhof Bonn wäre in H0 realistisch nachgebildet über 10m lang. Das immense Gleisvorfeld des Frankfurter Hauptbahnhofs erstreckt sich aber auf eine Länge von über 2km, hier wäre die H0-Nachbildung 22m lang.

In dem gleichen Maß, wie man die Zuglänge gegenüber dem Original reduziert kann man aber auch die Gleis- und Bahnsteiglänge reduzieren: Ein ICE1 besteht im Original aus den beiden Triebköpfen und bis zu 14 Mittelwagen. Dieser Zug hat eine Länge von bis zu 410m (H0: 4,7m). Streicht man die Wagen auf 3 Mittelwagen zusammen, davon ein Speisewagen der Baureihe 804, so ist der Zug immer noch für jeden Betrachter auf der Modelleisenbahn als ein ICE 1 erkennbar (der mit Dachfenstern das Lichtraumprofil nach oben verlassende Speisewagen sorgt dafür), aber er wäre im Original nur noch 120m 'kurz'. In H0 sind das dann nur noch 1,38m, wenn man die Wagons dann mit der Länge im Maßstab 1:100 skaliert (Fahrzeuglänge 27cm statt der exakten ca. 30cm) werden daraus dann sogar nur 1,28m. Das passt gerade so noch auf eine Eisenbahnplatte von 2m Länge.

Den vermutlich längsten Zug, den ich je gesehen hatte bekam ich im Colorado-Tal in Utah zu sehen: Die amerikanischen Güterzüge zwischen Ost- und Westküste sind wegen der in Amerika üblichen Kupplung und durch die Verwendung verteilter Mehrfachtraktion um ein mehrfaches länger als deutsche Züge: Der Zug fur ca. 10 min mit einer Geschwindigkeit von mindestens 30 km/h an uns vorbei, während wir im Stau standen. Extrapolierte Zuglänge: 5000m. Der Zug mit seinen ~6 F-Lokomotiven hörte sich aber auch schon 5 Minuten vor der ersten Lok an wie ein ganzes Hubschraubergeschwader. In H0 wäre das ein Monstrum von 57m Länge...